Warum sind Fehlgeburten ein Tabuthema? Spricht man darüber, erzählen auf einmal viele, dass sie eine oder sogar mehrere Fehlgeburten hatten. So war’s bei mir – und welcher Gedanke mir geholfen hat, mit dem Verlust umzugehen. Mein Appell: Redet darüber und helft anderen Frauen!

Fehgeburt_Wolke

Einige Monate, nachdem mein jetziger Mann und ich uns kennen gelernt hatten, wurde ich schwanger. Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen, trotzdem freuten wir uns beide sehr. Für IHN war es natürlich sehr unwirklich. Zu Beginn einer Schwangerschaft sehen die Männer ja nur den Schwangerschaftstest. Später dann ein unscharfes schwarzes Bild mit einem weißen Pünktchen. Für die Frau jedoch ändert sich von einem Tag auf den anderen alles.

Ich bin schwaaaaaanger!

Es ist Wahnsinn, wie schnell ich gemerkt habe, dass mein Körper anders ist als sonst. Bereits in der 4. SSW machte ich einen Schwangerschaftstest, der leicht positiv war. Nach mehreren weiteren Tests (gibt es jemanden unter euch, die nur einen einzigen Test gemacht hat??) glaubte ich es dann schließlich auch: I-c-h b-i-n s-c-h-w-a-n-g-e-r. Ich wusste gar nicht, wohin mit mir. Ich fing sofort an, meine Ernährung umzustellen. Ich strich Schokolade von meinem Speiseplan, rauchen tat ich eh nicht und Alkohol fiel auch weg.

Ich fühlte mich super. Viel zu früh war ich beim Frauenarzt. Die Schwangerschaft wurde in der 6. SSW zwar festgestellt, aber das Herz hatte sich noch nicht entwickelt. Ich bekam einen weiteren Termin zwei Wochen später. Dann würde ich auch den Mutterpass bekommen, der erst ausgestellt wird, wenn das Herz des Fötus schlägt.

Ich wäre fast geplatzt vor Glück und hätte am liebsten Gott und der Welt von meiner Schwangerschaft erzählt. Im Nachhinein war ich froh, dass mein Mann mich ein wenig bremste. Er selbst erzählte niemandem davon und wollte ganz rational die ersten drei Monate abwarten. Während ich schon den ersten Strampler und die erste Milchflasche kaufte und offen in meiner Wohnung hinlegte. Obwohl ich einerseits merkte, dass etwas in mir vorging, brauchte ich andererseits die beiden Babysachen, um meine Schwangerschaft greifbarer und realistischer werden zu lassen.

Mir ging es während dieser Zeit sehr gut. Ich hatte kaum Beschwerden. Waren das bereits Anzeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist? Es ist sicher auch nicht optimal, wenn man ständig kotzend über der Toilette hängt oder Kreislaufbeschwerden hat. Aber dann weiß man wenigstens, dass der Körper sich für die Schwangerschaft vorbereitet. Ich hätte das dieser scheinbar optimal und problemlos verlaufenden Schwangerschaft jedenfalls vorgezogen.

Der Moment, in dem ich befürchtete, das Kind verloren zu haben

In der 8. SSW passierte es dann auf einmal. Wir waren shoppen im MyZeil in Frankfurt. Die Luft war heiß und stickig, ich hatte mich etwas überanstrengt, nichts getrunken… und auf einmal wurde mir wahnsinnig schlecht. Ich wankte auf die Toilette und sah einen einzelnen hellroten Bluttropfen, der in die Toilette tropfte. Nur einer, mehr nicht. Hatte ich mein Kind verloren? War das eine Fehlgeburt? Der Gedanke drängte sich sofort in meinen Kopf, aber ich schob ihn schnell beiseite.

Das durfte einfach nicht sein. Ich hatte mir die Zukunft als Familie in den leuchtendsten Farben ausgemalt. Wir würden zusammenziehen und das tollste Kind der Welt bekommen. Wie alle Eltern. Eine Woche später, am Geburtstag meines Mannes, wollte er seinen Freunden verkünden, dass er Vater werden würde. Wollte seiner Mutter sagen, dass sie Oma wird. Und dann dieser Bluttropfen zusammen mit dem unguten Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Wie lange dauert eine Blutung, wenn man so ein kleines Etwas verliert? Wie macht sich eine Fehlgeburt bemerkbar?

Ich ignorierte mein Gefühl. Ich hatte bereits einen Frauenarzttermin ein paar Tage später. Also verdrängte ich das Blut erfolgreich und verhielt mich noch vorsichtiger als zuvor. Schließlich saß ich zusammen mit meinem Mann beim Frauenarzt, und wir warteten aufgeregt, das klopfende Herz sehen zu dürfen.

Der Moment, in dem meine Befürchtung wahr wurde

Die Frauenärztin sah auf dem Bildschirm keinen Herzschlag. Und auch mein Herzschlag setzte aus. Ich fühlte mich wie tot. Die Ärztin sprach von einem so genannten Windei. Was für ein blöder Begriff für eine leere Fruchthöhle, bei der sich aus irgendwelchen Gründen das Kind nicht (weiter-)entwickelt hat. Außerdem erkennt man die nicht richtig entwickelte Schwangerschaft an einem bestimmten Urinwert, der viel zu niedrige Zahlen aufweist. Nach nunmehr 6 Jahren kann ich mich jedoch nicht mehr an den Namen erinnern.

In den meisten Fällen wird das Windei im frühen Stadium in Form einer Blutung wieder ausgeschieden. Wenn Frauen sowieso einen unregelmäßigen Zyklus haben oder nicht mit einer Schwangerschaft rechnen, merken sie gar nicht, dass sie keine normale Regelblutung hatten. Bei mir jedoch musste eine Ausschabung vorgenommen werden.

Die Ausschabung…

Diese fand 2 Tage später in einer darauf spezialisierten Klinik in Offenbach statt. Ich heulte wie ein Schlosshund. Einen kleinen Rest Hoffnung hatte ich mir bewahrt, aber die neuerliche Untersuchung zerstörte diese sofort. Teilnahmslos ließ ich alles Weitere über mich ergehen. Ich bekam ein Krankenhausgewand an und wurde in Tiefschlaf versetzt. Was genau während der Operation gemacht wurde, habe ich nie gefragt und auch nie nachgelesen. Als ich aufwachte, war alles vorbei. Ich fühlte ein großes Loch in meinem Bauch, ein Ziehen an meinem rechten Eierstock und wollte nur noch allein sein. Meine Mutter, die in der Nähe arbeitete, war da und brachte mich nach Hause.

Ich habe zwar nur etwa 1 Monat sicher von der Schwangerschaft gewusst, aber ich habe mich sehr schwer getan, mit der Fehlgeburt umzugehen. Ich war 2 Wochen lang krank geschrieben (regulär darf man nur 1 Woche zu Hause bleiben), in denen ich mich zu Hause verkroch. Ich ließ niemanden an mich heran, auch nicht meinen Mann, der überhaupt nicht verstand, warum ich am Boden zerstört war. Mit seinem Körper war ja nichts passiert. Zudem gelang es ihm dank seiner sachlichen Art, sich innerhalb kürzester Zeit auf die neue Situation einzustellen. Mir nicht.

… und die Zeit danach

Körperlich war ich nach der Ausschabung schnell wieder hergestellt. Lediglich das Ziehen blieb mir 1 Jahr lang erhalten, was bei mir zusätzlich noch die Angst schürte, dass etwas schief gegangen sei. Ich habe es jedoch nie untersuchen lassen.

Psychisch war ich so fertig wie nie davor und auch nie mehr danach (toi toi toi). Mein Mann und ich bekamen in der Folge enorme Probleme. Ich habe noch Monate später geheult, wenn ich kleine Kinder gesehen habe, Freundinnen mit Babys gesehen habe usw. Einen Junggesellinnenabschied, zu dem ich 1 Monat nach der Fehlgeburt eingeladen wurde, musste ich absagen, weil ich schon Heulkrämpfe bekam, wenn ich nur an die beiden Schwangeren dachte, die mit dabei sein würden. Da in dem Freundeskreis meines Mannes niemand von der Fehlgeburt wusste, wurde ich daraufhin jahrelang nicht mehr eingeladen oder bei anderen Planungen einbezogen.

Der Braut habe ich irgendwann den Grund erzählt, die anderen erfahren spätestens jetzt, warum ich in der ersten Zeit, in der wir uns kennen gelernt haben, so “schwierig” war. Ist halt schwer zu verbergen, wenn du bei einer Taufe losheulst. Wenn du nicht zu einer Hochzeit gehen kannst, weil du selbst in der Zeit so wahnsinnige Beziehungsprobleme hast. Wenn Monate später jemand von seiner Weisheitszahn-OP erzählt und du losheulst, weil dich die Worte “Das war cool. Du schläfst einfach ein, und wenn du wieder wach bist, ist nichts mehr da” mitten ins Herz treffen.

Bin ich Schuld an der Fehlgeburt?

Wir standen kurz vor der Trennung, als ich einen Gedanken las, der mir schlagartig geholfen hat, besser mit der Fehlgeburt umzugehen. Sinngemäß lautete er “Du bist nicht Schuld, wenn du eine Fehlgeburt hast. Der Körper bzw. die Natur reguliert die Schwangerschaft und sorgt dafür, dass sich nur überlebensfähige Zellen weiterentwickeln.”

War also mein Fötus zu krank, um sich weiterzuentwickeln? Ich werde es nie erfahren. Aber der Gedanke half mir, die Schuldfrage besser zu verarbeiten. Ich hatte alles dafür getan, dass sich der Fötus gut entwickeln kann. Leider hat es nicht gereicht.

Im April vor 6 Jahren hatte ich die Ausschabung. Wenige Tage vor dem Geburtstag meines Mannes. Auch dort war ich damals nicht anwesend, während er mit den bereits eingeladenen Gäste feierte.

Ich weiß nicht, warum mir die Fehlgeburt damals so den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Freundinnen, die Ähnliches erlebt haben, waren zumindest nach außen hin schnell wieder in ihrem Alltag. Dabei haben es andere Frauen viel viel schwerer, die ihr Kind zu einem späteren Zeitpunkt in der Schwangerschaft verlieren. Genau genommen hat “mein Kind” vermutlich nie einen Herzschlag gehabt. War es dann überhaupt ein Kind, werden manche fragen? Für mich war es das jedenfalls. Manchmal denke ich, dass ich einen späteren Abbruch wohl gar nicht hätte verarbeiten können.

Heute

Heute, 6 Jahre später, hilft mir der Gedanke natürlich, dass ich inzwischen 2 gesunde Kinder zur Welt gebracht habe. Mir sagte mal jemand, wenn ich die Fehlgeburt nicht gehabt hätte, würden meine beiden Töchter nicht so sein, wie sie jetzt sind. Diese Aussage fand ich damals furchtbar. Fast so, als hätte die Fehlgeburt damals einen Zweck gehabt. Denn das hatte sie für mich nicht. Sie hat Verlust, Kummer, Depressionen und Trauer in meinen Alltag gebracht und viele positive Dinge in meinem Leben zerstört.

Aber es stimmt. Hätte ich das erste Kind austragen können, wären Hanna und Marie jetzt nicht da. Oder sie wären anders. Und das ist genauso unvorstellbar. Trotzdem hätte ich gern alle 3 Kinder hier zu Hause. Und nicht ein Sternenkind.

Du hattest eine Fehlgeburt und suchst Hilfe? Bitte wende dich an eine Beratungsstelle wie Pro Familia, die dich bei der Trauerbewältigung unterstützen können.